Systembetrachtung Zweirohranlagen

Teil 1: Die Heizkurve / Vorlauftemperatur

… ist oft falsch eingestellt und hat einen entscheidenden Einfluss auf die Anlagendynamik, die Anlagenhydraulik und somit auch auf den Energieverbrauch!

Zur aktuellen Situation = Energieeinsparung für den Winter 2022/23: Eine flachere Einstellung der Heizkurve (Reduzierung der Vorlauftemperatur) ersetzt NICHT den hydraulischen Abgleich und ist aktuell nur als Übergangslösung zu sehen!

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Der Sinn und Zweck von Heizungsanlagen besteht darin, in allen Räumen eines Gebäudes während der Heizperiode eine thermische Behaglichkeit zu gewährleisten. In einer Warmwasser-Heizung wird die Wärmeabgabe durch 2 Parameter gesteuert:

  • Die Vorlauftemperatur (die alle Räume gleichzeitig beeinflusst) und
  • den Durchfluss (der an jedem Heizkörper lastabhängig durch Thermostatventile individuell geregelt wird).

Ich hebe diese beiden Parameter deshalb gleich am Anfang hervor, weil sie im direktem Zusammenhang stehen. Oft wird eine Anpassung der Heizleistung über eine Änderung der Vorlauftemperatur vorgenommen, ohne dass man sich über die Auswirkungen auf die sich ändernden Massenströme Gedanken macht. Und diese Massenströme sind entscheidend für einen richtigen hydraulischen Abgleich der Heizungsanlage.

Zunächst ein wenig Theorie:

Die Heizkurve oder Heizkennlinie ist im Grunde nichts weiter als eine Zuordnung der Vorlauftemperatur zur Außentemperatur. Oder ganz einfach gesagt:  Je kälter es wird, desto mehr Wärme (dies entspricht einer höheren Wasser-/Vorlauftemperatur) wird benötigt. Und dies wird in Form einer Funktion grafisch dargestellt.

Dass es sich bei dieser Heizkennlinie um eine „(Heiz)kurve“ handelt, hängt von der Wärmeabgabe des Heizkörpers ab. Diese „Krümmung“ wird bestimmt vom so genannten Heizkörperexponenten „n“. Zur besseren Darstellung in meinen Erklärungen verwende ich eine idealisierte „Heizgrade“ – es erleichtert die Darstellung, ändert aber nichts an den wesentlichen Aussagen.

Das folgende Bild zeigt die wesentlichen Zusammenhänge:

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Zur Vorlauftemperatur (rote Kennlinie) gehört natürlich eine Rücklauftemperatur (blaue Kennlinie). Für den Auslegungsfall (hier -15°C) wird die so genannte Spreizung der Anlage festgelegt. Z.B. 70/55 bedeutet eine max. Vorlauftemperatur von 70°C bei einer  Rücklauftemperatur von 55°C. Diese Rücklauftemperatur ergibt sich jedoch nur dann, wenn die Heizlast exakt gleich der Normwärmeleistung des Heizkörpers ist.

Dies ist jedoch, bedingt durch die realen Baugrößen der Heizkörper, nie der Fall. Um eine Minderleistung zu vermeiden (eine Toleranz von 5 % ist akzeptabel), wird in der Regel immer der größere Heizkörper gewählt (oder derjenige Heizkörper, der optisch gut in die Nische passt). Für die Praxis ergeben sich demnach rechnerisch immer niedrigere reale Rücklauftemperaturen.

Natürlich können auch andere Vorlauftemperaturen/Spreizungen festgelegt werden, z.B. 55/45 bei Fußbodenheizungen oder 65/40 bei Brennwertgeräten mit Heizkörpern.
Egal ob dadurch die Übertemperaturen gesenkt werden (geringere Wärmeverluste) oder die Rücklauftemperatur möglichst niedrig sein soll (Brennwertnutzen):

  • Jede geplante Vorlauftemperatur/Spreizung hat direkten Einfluss auf die Hydraulik, sprich auf die Massenströme und die Differenzdrücke in der Heizungsanlage.

Bevor ich auf die Auswirkungen unterschiedlicher Temperaturniveaus eingehen möchte, noch einige Anmerkungen zur richtigen Einstellung der Heizkurve. Um die Wärmeabgabe der Heizkörper an die erforderliche Heizkurve richtig anpassen zu können, lässt sich die Heizkurve in der Steilheit und parallel verschieben. Dies zeigen die folgenden Grafiken.

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Heizkurve (1) bildet die Basisheizkurve. Über die Steilheit kann das Temperaturniveau bei niedrigen Außentemperaturen stark angehoben (2) oder abgesenkt (3) werden. Bei hohen Außentemperaturen ist der Effekt jedoch gering.
Anders bei der Parallelverschiebung: Unabhängig von der Außentemperatur wird das Temperaturniveau gleichmäßig angehoben (2) bzw. abgesenkt (3).

Aber wie ermittelt man den nun die „richtige“ Vorlauftemperatur, sprich den Einstellwert ?
Nun, wenn möglich sollte schon eine Berechnung der Anlage erfolgen oder gemessene oder bekannte Vorlauftemperaturen als Basis dienen.

Denn: Jede Anlage muss in der Praxis über die Heizkurve optimiert werden - und zwar Schritt für Schritt. Die Berechnung ist eine Sache, aber eine abweichende Ausführung der Anlage, nachträgliche Änderungen zur Planung und das Nutzerverhalten erfordern eine Nachbesserung in der Praxis. Und was spricht denn dagegen, nach und nach, in kleinen Schritten, bei unterschiedlichen Außentemperaturen und in entsprechenden Zeitabständen das Temperaturniveau solange abzusenken, bis es „nur noch“ ausreichend warm wird ?

Dies kann in der Praxis nur durch den Anlagenbetreiber erfolgen. Nur er hat Zeit, sich über eine ganze Heizperiode mit der Optimierung zu beschäftigen. Es sei denn, er hat eine „intelligente“ Regelung mit Optimierfunktion.

(Anmerkung gerade an dieser Stelle: Das Thema „Schnellaufheizung“ (overboost) durch eine kurzfristige Überhöhung der Heizkurve, z.B. nach einer Nachtabsenkung, die Nutzung wenig bewohnter Räume oder dem „Sparverhalten“ des Nutzers wird in Teil 9 behandelt und zeigt, dass geänderte Parameter schon wieder eine ganz andere Betrachtungsweise erfordern !)

Wie die geht, zeigt die folgende Grafik:

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Im Teillastfall wird es mit der eingestellten Heizkurve (1) nicht warm genug (Betriebspunkt alt). Im ersten Schritt wird die Heizkurve über die Steilheit abgesenkt (2), um anschließend über die Parallelverschiebung (3) auf das erforderliche Niveau wieder angehoben zu werden.
Ein durchaus oft anzutreffender Fall, da bei hohen Außentemperaturen und längeren (raumweisen) Absenkphasen die Heizleistung nicht ausreicht, um in einem angemessenen Zeitraum so aufzuheizen, dass sich ein Behaglichkeitsgefühl einstellt.

Für die Praxis eine Tabelle zur Optimierung im Betrieb:

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Diese Art der Optimierung hat das Ziel, das Temperaturniveau der Heizungsanlage zu senken und zwar solange, bis in einem Raum die gewünschte Raumtemperatur gerade noch erreicht wird. Aufgrund mehr oder weniger überdimensionierter Heizkörper in Bezug auf die erforderliche Heizlast ist dies die einzig praktikable Methode, um das Temperaturniveau zu senken.
Es ist zwar schön zu wissen, dass man in anderen Räumen aufgrund noch größerer Überdimensionierungsfaktoren der Heizköper das Temperaturniveau weiter absenken könnte, aber solange nicht saniert wird (mit einer erforderlichen Heizlastberechnung, Heizkörperdimensionierung und Austausch zu kleiner Heizkörper für das gewünschte Temperaturniveau), ändert das nichts an der Vorgehensweise.
 
Vier wesentliche Effekte ergeben sich durch das Absenken der Heizkurve

  • Die Verteilverluste des Heizungsnetzes werden durch die niedrigeren Übertemperaturen gesenkt.
  • Der Kesselnutzungsgrad steigt durch niedrigere Betriebsbereitschaftsverluste und niedrigere Abgastemperaturen.
  • Durch die Begrenzung des Wärmeangebotes kann der Nutzer (z.B. durch Dauerlüftung, die nicht negativ auffällt, da Wärme im „Überschuss“ vorhanden ist) gar nicht mehr so viel Energie verschwenden, da diese gar nicht zur Verfügung steht.
  • Thermostatventile können ihrer eigentlichen Aufgabe der Fremdwärmenutzung besser nachkommen (aber bitte voreingestellt auf ein praxisgerechtes xp-Band).

Natürlich hat eine Optimierung im Betrieb auch einen Einfluss auf die Voreinstellung (den erforderlichen Kv-Wert) von Thermostatventilen. Folgende Grafik soll die Zusammenhänge verdeutlichen
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Durch jede dieser Temperaturpaarungen kann der notwendige Wärmebedarf gedeckt werden. Die Bereiche (1) und (2) sollen die „Grenzbereiche“ aufzeigen.

Hier können Sie es ausprobieren: Die Heizmittelübertemperatur

Bereich (2): Die max. Vorlauftemperatur ergibt sich im Extremfall durch die max. mögliche Temperatur des Wärmeerzeugers. Dies führt zu großen Spreizungen und einer niedrigen realen Rücklauftemperatur. Die Fakten:

  • Hohe Vorlauftemperaturen verschlechtern den Nutzungsgrad des Wärmeerzeugers.
  • Es ergeben sich kleine Massenströme, die wiederum Ventile mit sehr kleinen Kv-Werten erfordern.
  • Der Brennwertnutzen steigt durch die geringe Rücklauftemperatur.
  • Bei Standard-NT Kesseln können niedrige Rücklauftemperaturen zur Kondensation = Korrosion in Kesseln führen (Stütztemperatur beachten)
  • In der Praxis ermöglicht die Überhöhung der Heizkurve in der Übergangszeit noch fühlbar warme Heizkörper (subjektives Wärmeempfinden) und es ist ein gewisser Schnellaufheizeffekt nach Absenkzeiten (auch tagsüber durch sinnvolles reduzieren der Raumtemperatur in einzelnen Räumen) vorhanden.

Bereich (1): Durch die max. mögliche Reduzierung der Vorlauftemperatur wird die benötigte Heizlast gerade noch zur Verfügung gestellt. Die Fakten:

  • Durch eine niedrige Vorlauftemperatur ergeben sich sehr kleine Wärmeübertragerkennwerte für die Heizflächen
  • Die Spreizung wird reduziert, der Massenstrom steigt.
  • Der notwendige Differenzdruck steigt, es werden Pumpen mit größerer Förderhöhe benötigt.
  • Die Wärmeverluste in den Vorlaufleitungen werden reduziert, steigen aber in den Rücklaufleitungen.
  • Eine niedrige, mittleren Heizmittelübertemperatur erhöht den Kesselnutzungsgrad.

Generell kann man diese Betrachtungen auch für andere „Energiequellen“ wie Wärmepumpen oder die Fernwärme anstellen. Hier ist vor allem eine max. Rücklauftemperatur (Fernwärme) notwendig, die nicht überschritten werden darf. Bei Wärmepumpen sollte die durchschnittliche Heizmitteltemperatur für eine gute Arbeitszahl niedrig sein.

Fazit: Die „Extreme“ sind sicher nicht optimal: Sinnvoll ist es, eine Vorlauftemperatur im mittleren Bereich zu wählen (zwischen (1) und (2). Dies ermöglicht durch die höheren Vorlauftemperaturen im Teillastfall eine schnellere Aufheizung und verbessert den Kesselwirkungsgrad durch reduzierte Heizmitteltemperaturen. In der Praxis ergeben sich somit Spreizungen von 65/ 40 oder 60/45, die max. Spreizung sollte nicht größer als 25 K sein.